Der im Vormonat gewählte Nationalkongress hat die Regierungsmacht vom Nationalen Übergangsrat übernommen und Oppositionsführer Mohammed al-Megarif, der als gemäßigter Islamist gilt, zum Übergangspräsidenten des Landes gewählt. Er soll die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung vorbereiten. Bei den Wahlen im Juli gingen 120 Sitze an Einzelkandidaten, 80 an Parteien. Stärke Kraft ist die reformorientierte Fraktion von Mahmud Dschibril.
Anders als in Tunesien und Ägypten, haben sich in Libyen die liberalen Kräfte in der ersten demokratischen Parlamentswahl in 42 Jahren behauptet. Die „Allianz der Nationalen Kräfte“ des früheren Regierungschefs der Übergangsregierung, Mahmud Jibril, erhielt 39 von 80 Sitzen. Die Partei steht für einen moderaten Islam, freie Wirtschaft und Öffnung zum Westen. Wie das Kräfteverhältnis endgültig aussehen wird, ist noch nicht klar, denn die andern 120 von insgesamt 200 Parlamentssitzen gehen an unabhängige Kandidaten.
In Tripolis wurde der Chef des Olympischen Komitees Libyens, Nabil Elalem, von bewaffneten Unbekannten entführt. Zwei Autos folgten seinem Wagen, stoppten ihn und forderten ihn auf, ihnen zu folgen. Einzelheiten und Motive sind nicht bekannt.
Trotz bedauerlicher Zwischenfälle im Osten des Landes, wo Wahllokale angegriffen und Stimmzettel verbrannt wurden, verlief die erste freie Wahl nach 42 Jahren geordnet und mit Jubel. Während der Auswertung ruft der frühere Übergangspremier Jibril die Libyer zur nationalen Einheit auf. Nur so könne ein funktionierender Staatsapparat geschaffen werden. Nach den ersten offiziellen Ergebnissen hat seine „Allianz der Nationalen Kräfte“ einen bedeutenden Vorsprung. Internationale Beobachter loben Libyens Wahl als „historische Leistung“.
Nach vier Wochen Haft in der westlibyschen Stadt Al-Sinta ist das Mitarbeiter Team des Internationalen Gerichtshofs wieder frei. Hauptangeklagte waren die Australierin Melinda Taylor und ihre Übersetzerin, denen man vorgeworfen hatte, dem dort inhaftierten Gaddafi Sohn geheime Unterlagen übergeben zu haben. Die beiden männlichen Kollegen aus Russland und Spanien blieben aus Solidarität bei ihnen. Inzwischen sind alle zurück in Den Haag.
Kurz nach dem Bombenanschlag auf die US-Botschaft, wurde der diplomatische Konvoi der britischen Vertretung in Bengasi von einer Panzerfaust getroffen. Zwei Sicherheitsmitarbeiter wurden verletzt. Auch das Büro des Roten Kreuzes in Misrata wurde angegriffen. Die Übergangsregierung hat ernste Probleme, die immer wieder auftretenden Gefechte der Rebellengruppen einzudämmen. Auch musste die anstehende Wahl für die Nationalversammlung aus logistischen Gründen auf den 7. Juli verschoben werden.
Eine Bombenexplosion beschädigte das Gebäude der US Botschaft in Bengasi. Menschen kamen nicht zu Schaden. Motiv und Täter sind unbekannt. Erst kürzlich waren der Flughafen von Tripolis und das Büro des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes Zielscheiben. Man vermutet einen Zusammenhang zwischen den Attacken und den bevorstehenden Wahlen.
Verärgerte Milizen der al-Awfia Brigade sind mit gepanzerten Fahrzeugen auf Tripolis Start- und Landebahn gerollt und haben den Luftverkehr lahm gelegt. Sie fordern die Freilassung ihres Anführers, der entweder entführt wurde oder, wie sie vermuten, zum Verhör am Flughafen festgehalten wird. Um ihre Drohung zu verstärken, haben sie unter jedes der sechs geparkten Flugzeuge einen mit Raketen versehenen Pick-up Lkw gestellt.
Libyen hat die EU vor mehr Migranten aus Nordafrika gewarnt. Einige Boote sind bereits in Sizilien und Malta angekommen. Die Flut von Flüchtlingen im Zug des „arabischen Frühlings“ hatte nachgelassen, aber jetzt, so fürchten die Verantwortlichen, könnten die Migranten das gute Wetter zur Überfahrt nach Südeuropa nutzen. Italiens Außenminister Terzi hat schon um Hilfe in Brüssel gebeten.
Knapp zwei Monate vor den ersten allgemeinen Wahlen, um ein 200-Mitglieder Gremium zum Schreiben einer neuen Verfassung zu bilden, hatte der Übergangsrat ein neues Gesetz erlassen, das alle Parteien auf religiöser Basis verbannte. Die Muslimbruderschaft, die bestorganisierte politische Bewegung, verurteilte die Entscheidung vehement; sie gäbe nur den Liberalen eine Chance. Der Übergangsrat behauptete jedoch, das Gesetz sei im Interesse der „Nationalen Einheit“ erlassen worden. Inzwischen wurde der Bann wieder aufgehoben.